Glossiert                                                                                                    Eichstätter Kurier 12.02.2010

 Glückliche Fahnenflicker

       Die Dollnsteiner sind berühmt dafür, dass sie für ihre Probleme unkonventionelle Lösungen finden. Deswegen lautet ihr Spitzname „Fahnenflicker". Denn als einstmals die gute alte Dorffahne ein großes Loch hatte, da wussten sich die wackeren Bürger schnell zu helfen: Sie kauften eine neue Fahne, zerschnippelten diese und hatten so einen passenden Reparaturflicken zur Hand. Wir lernen daraus, dass die Dollnsteiner höchst zufrieden sind mit dem Wenigen, das sie haben, und dass größere Neuerungen dort eher nicht so willkommen sind. Man muss sich die Dollnsteiner als glückliche Menschen vorstellen. Klaus Wowereit aus Berlin nennt das „arm, aber sexy".
Nun ist über die stille Zufriedenheit der Marktgemeinde aber helle Aufregung hereingebrochen, weil bei der Renovierung der örtlichen Burg ein Münzschatz gefunden wurde: ein alter Tontopf, gefüllt mit 3700 Silberlingen. Mit diesem unerwarteten Reichtum geht es den Dollnsteinern wie dem Hans im Glück im Grimmschen Märchen. Der arme Hans hat einen Klumpen Gold, den er aber nur als Belastung empfindet, so dass er ihn nacheinander in ein Pferd, eine Kuh, ein Schwein, eine Gans und einen Schleifstein umtauscht - und als ihm der Wetzstein in den Brunnen purzelt, freut er sich, dass er das lästige Ding endlich los ist.
Die Dollnsteiner haben für ihr Problem eine ähnliche Lösung gewählt: Sie geben ihren Schatz für eine Sonderausstellung ans Germanische Nationalmuseum Nürnberg, und als Ersatz bekommen sie eine Nachbildung, die sie bei sich daheim ausstellen können. Alles freut sich, denn eine Kopie ist viel praktischer als das Original, weil man keine Sorge haben muss, dass Diebe, Räuber und Touristen sich dafür interessieren. 
Die neueste Nachricht lautet aber, dass die Dollnsteiner die Museumsleute aus Nürnberg vielleicht missverstanden haben: Wenn das stimmt, bekommt die Marktgemeinde aus der Frankenmetropole bloß eine Nachbildung des alten Tontopfs - ohne Münzen, aber dafür mit vielen warmen Dankesworten gefüllt. Ein alter Blumentopf, das erinnert mich stark an den Wetzstein der Gebrüder Grimm.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie jetzt in Dollnstein die Sektkorken knallen, weil man sich nicht mehr weiter mit dem lästigen Schatz beschäftigen muss. Aus den Augen, aus dem Sinn. Und bald schon wird man Stimmen hören, dass die Nürnberger die freundliche Leihgabe für immer behalten sollen. Sollen die Franken sich doch damit herumärgern! Die Dollnsteiner aber hängen sich über ihr neues, leeres Museum, das eines Tages in der alten Burg entstehen soll, den letzten Satz aus „Hans im Glück“: „So glücklich wie ich, rief er aus, gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“

Pfüat Gott,

Ihr Schlossleutnant
Lorenz Krach